von Helmut Lölhöffel
Der Ruf der Griechen hat gelitten in den vergangenen Monaten. In seinem Buch „Griechenland. Ein Länderporträt“ räumt der Journalist Eberhard Rondholz mit Klischees auf – und erklärt, wie es zur gegenwärtigen Krise kommen konnte.
Odysseus, Sokrates und Pythagoras. Aristoteles Onassis, Melína Mercoúri und Míkis Theodorákis. Sie alle haben unser Bild vom alten und vom neuen Griechenland geprägt. Ebenso wie die Figur des Lebenskünstlers Aléxis Sorbás und einer, der gar kein Grieche ist: der Otto „Rehakles“ genannte Fußballtrainer, der die griechische Nationalmannschaft 2004 überraschend zum Europameister-Titel führte.
Doch das schöne Bild der listenreichen, der weisen, der künstlerischen, der gastfreundlichen und der weltoffenen Griechen hat hässliche Schrammen bekommen. Von manchen deutschen Medien werden sie als Lügner und Betrüger, Diebe und Faulenzer hingestellt – in einem Wortschatz, der an übelste Hetze erinnert und zeitweise sogar von der Bundeskanzlerin übernommen wurde. Na klar, die Griechen haben ihre Krise großenteils selbst verursacht. Aber es gab auch gewichtige äußere Einflüsse, die zu der Misere beigetragen haben.
Grundsympathie ohne Schwärmerei
Der äußerst schlichte Titel („Griechenland“) und der bedeutungsarme Untertitel („Ein Länderporträt“) lassen ebenso wie das Titelbild kaum vermuten, dass dieses Buch eines der inhaltsreichsten und kenntnisreichsten über Griechenland ist, das je erschienen ist. Eberhard Rondholz beschreibt Land und Leute, Geschichte und Gegenwart, Politik und Kultur, Tavernen und Gebräuche mit einer unübersehbar herzlichen Grundsympathie, aber ohne Schwärmerei, vorurteilsfrei und mit kritischer Distanz, mit gründlich erlerntem und erlebtem Wissen über Alltag und Hintergründe.
Dabei legt er ungeschminkt Fehlentwicklungen offen, die zu der heutigen Situation führten, wie etwa die mangelnde Steuermoral der Bürger, die unbegrenzte Ausgabensucht des Staates, eine flächendeckend verbreitete Korruption (einschließlich des deutschen Siemens-Konzerns) rund die vielfach kriminelle Selbstbereicherung der Eliten.
Doch auch dies ist eine Wahrheit, die nicht vergessen werden darf: Als Anfang 2010 alle Welt die verheerenden griechischen Wirtschaftsdaten kannte, mahnte Außenminister Guido Westerwelle in Athen den Kauf von 60 Eurofightern zum Preis von zwei Milliarden an. „Eine absurde Situation“, schreibt Rondholz: „Deutsche und französische Politiker drängen zu Käufen von Waffen, die zwei Nato-Partner aufeinander richten, und das, obwohl sie über den drohenden Staatsbankrott Griechenlands informiert sind.“ Wer es noch nicht weiß, der wird belehrt: Das kleine Griechenland mit seinen knapp zehn Millionen Einwohnern besitzt die größte Panzerarmee der EU und hat doppelt so viele Kampfpanzer
wie die Bundeswehr!
Ein runder Gesamteindruck Griechenlands
Der frühere WDR-Journalist Rondholz doziert nicht, sondern macht es wie die Griechen im Kafeníon: Er erzählt Geschichten. Über Personen und Feste, Schmiergelder und Fischfang, Waldbrände und Sirtáki, Olivenernte und Fußball, Streiks und Speisen, Kriege und Migranten, Städte und Filme – scheinbar ohne Reihenfolge, aber sich fortlaufend ergänzend.
So schafft Rondholz, der ein aufmerksamer Beobachter ist und einen Teil seines Lebens auf der Insel Skópelos verbringt, einen vollständig runden Gesamteindruck von Griechenland. Die obendrein vergnügliche Lektüre ist allen zu empfehlen, die – trotz oder wegen der gegenwärtigen Krise – als Touristen nach Kefaloniá oder Lesbos, Chalkidikí oder Kreta reisen möchten, oder denen, die sich einfach nur ein aktuelles und klischeefreies Bild von diesem liebenswerten Land machen wollen.