Das besondere Augenmerk dieser Tagung galt der neuen griechischen Arbeitsmigration seit Beginn der europäischen Wirtschaftskrise 2008. Sie stellt die Gewerkschaften, die in der Beratung tätigen Institutionen sowie die Mitgliedsgesellschaften der VDGG vor besondere Aufgaben. Im Rahmn des DGB-Projekt „Faire Mobilität“ erschien eine Broschüre des DGB „Wissen ist Schutz!“, ein Leitfaden für Menschen aus Griechenland die vorübergehend oder auf Dauer in Deutschland leben und arbeiten wollen und enthält Informationen, die helfen, in Deutschland eine legale Arbeit unter fairen Bedingungen zu finden. Die Broschüre war zuvor schon auf Bulgarisch, Rumänisch und Spanisch erschienen. Eine Griechische und eine deutsche Variante kamen mit Unterstützung der Griechischen Botschaft in Berlin und der Vereinigung der Deutsch Griechischen Gesellschaften (VDGG) rechtzeitig zur Tagung zu Stande.
Die Fakten, die Frau Sigrid Skarpelis-Sperk, Präsidentin der Vereinigung der Deutsch – Griechischen Gesellschaften in ihrem Eingangsvortrag vorlegte machten sehr schnell deutlich, weshalb „zwei von drei jungen Menschen in Griechenland Angst um ihre Zukunft haben“.
So stiegen als Folge der rigiden Austeritätspolitik der EU-Kommission – voll von der deutschen Bundesregierung unterstützt – die Griechenland unter massivem Druck auferlegt worden war, die Arbeitslosigkeit in Griechenland 2015 auf 24,6%. (Eurostat, August. Das Sozialprodukt ging um 25% zurück. Die Jugendarbeitslosigkeit hält in Griechenland noch vor Spanien den traurigen europäischen Rekord von 47,9% (Eurostat, August). Nach einem kurzen Exkurs über die Geschichte griechischen Migration der letzten hundert Jahre wies sie auf eine neue Form und ein neues Ausmaß von Migration hin mit der „der Griechen konfrontiert waren und sind und verwies auf die Entwicklung der Migration der Griechen in den 60er und 70er Jahren. Damals verlor Griechenland von seinen damals 9 Millionen Einwohnern, 2 Millionen Menschen. Das waren 22% der Gesamtbevölkerung. Eine Million davon seien nach Deutschland gekommen. Dabei erinnerte sie daran, dass damals die entsetzliche deutsche Besatzungszeit gerademal 15 Jahre her gewesen sei, seit 1967 eine Militärjunta in Griechenland herrschte, die bis 1974 andauerte und in diesen Jahren viele Griechen in Deutschland Zuflucht vor Folter und Gefängnis suchten und fanden. Aber auch Arbeit, soziale Sicherheit und Freiheit.
Was die Gegenwärtige Entwicklung betrifft, zeigte Frau Skarpelis-Sperk auf, dass allein 2011, 23.800 Griechen nach Deutschland ausgewandert sind, was einer Steigerung von 90 % gegenüber 2010 entspricht (Papachristou und Elgood 2012)
Viele der Eingewanderten Griechen tauchten aber in keiner Statistik der Bundesanstalt für Arbeit auf, da sie bei Verwandten und Bekannten in Deutschland unterkämen und sich nach einem Job umsähen, nicht zum BA gingen noch örtlich gemeldet seien.
Insbesondere verwies sie auf die jüngere Generation von auswanderungswilligen Griechen, die zu der „am besten qualifizierte Generation in Griechenland. Besser, als im europäischen Schnitt oder der meisten Industrienationen“, zu zurechnen sei.
„Sie sind zu einem nicht geringen Teil Ärzte, Ingenieure, IT-Experten, Wirtschafts- und Naturwissenschaftler und exzellente Juristen, Erziehungs- und Pflegepersonal“
„Der Anteil der Auswanderer mit Hochschulabschluss erreiche 89 %. 48 % seien unter 30 Jahre, weitere 49 % zwischen 31 bis 49 Jahre alt.
Ihre Hoffnung liege aber auch darin, dass „bei einer denkbaren zukünftigen Rückkehr der jetzt einwandernden Griechen nach Griechenland diese dort den Wiederaufbau der Wirtschaft und einen systematischen und dringend nötigen Neuaufbau der Institutionen leisten – wie nach der Diktatur.“
Abschließend warnte Frau Skarpelis-Sperk davor, die Arbeits- und Sozialbedingungen in Deutschland weiter zu verschlechtern und die neueren Errungenschaften wie die Einführung des Mindestlohnes und die bestehenden Arbeitsverträge für die Neuankömmlinge zu unterlaufen.
Ähnlich sah es Frau Annelie Buntenbach, Mitglied des DGB-Bundesvorstandes. Sie hoffe, dass die Broschüre mit dazu beitragen kann, die griechischen Migranten vor Ausbeutung zu schützen:
„Wir wissen von vielen Arbeitsverhältnissen von Menschen, die neu nach Deutschland zugewandert sind, die unproblematisch verlaufen. Allerdings erfahren wir immer wieder von Beschäftigungsverhältnissen, bei denen neuzugewanderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und dies betrifft in jüngster Zeit auch vermehrt Griechinnen und Griechen – zu nicht akzeptablen Bedingungen arbeiten müssen und ausgebeutet werden.“ In Deutschland haben wir einen Arbeitsmarkt, mit manchmal problematischen Arbeitsverhältnissen. Es gibt Jobs, die sehr schlecht bezahlt. In vielen Fällen gibt es Verletzung der gültigen Arbeitsverträge.
Die erste Diskussionsrunde: „Leben und Arbeiten in Deutschland – Ausbeutung oder neue Chance? Beispiele aus verschiedenen Branchen?“, wurde von Miltiadis Oulios (Funkhaus Europa) geleitet. Mit dabei waren Stella Kirgiane Gastronomie, Gundula Lasch, Kunst und Kultur, Dominique John Leiter des Projekts „Faire Mobilität“ und Aliki Gkerlioti, Studentin in Berlin.
Es wurden verschiedene Negativbeispiele benannt und ein Bericht des NDR mit einem Beispiel Lohndumping, nicht bezahlter Arbeit und Sozialleistungen sowie mangender Unterkunft gezeigt. („Ohne Lohn: Ausbeutung griechischer Arbeiter“ Panorama 3 vom 12.08.2014). Thematisiert wurden verschiedene Formen der Anwerbung und Leiharbeit. Vor allem führten mangelnde Sprachkenntnissen zu Problemen bei der Arbeitssuche, aber auch zu Lohndumping und Diskriminierung. Da viele Beschäftigte sich erst gar nicht bei den Beratungsstellen melden ist die Dunkelziffer in den klassischen Branchen: Fleischerhandwerk, Gastronomie, Landwirtschaft und Bau eher hoch. Hier kämen auch Angst und der Zwang zur Schwarzarbeit hinzu.
Die Schlussrunde unter dem Titel: „Neue Migration aus Griechenland: Herausforderung und Chancen – Gestaltungsmöglichkeiten der Politik“ wurde von Thorben Albrecht, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Angelica Schwall-Düren, Europaministerin NRW (a.D.), Annelie Buntenbach, Sigrid Skarpelis-Sperk und Aris Radiopoulos, Leiter der Konsularabteilung Botschaft der Hellenischen Republik in Berlin besetzt. Die Leitung hatte Christos Katsioulis von der Friedrich-Ebert-Stiftung, Athen inne.
Die Runde bewegte sich bald auf der allgemeinen Ebene der deutsch-griechischen Politik. Alles was hier an konkreten Hilfen getan werden könne, sei so etwas wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Schlagwortartig bewegten sich die Diskutanten durch das knapp einstündige Gespräch: Marschallplan, Arbeitsplätze, Beschäftigungsprogramme, Qualifikation, duales Ausbildungssystem. „Zurzeit seien nur Kleinstprogramme möglich“ war die Feststellung von Frau Angelica Schwall-Düren. Der Bedarf an einem wirklich wirksamen europäischen Programm gegen die Massenarbeitslosigkeit für junge Menschen bis 35 Jahren trat deutlich hervor. Dennoch so Frau Skarpelis-Sperk: „in der konkreten Politik der EU-Kommission ist davon noch nichts angekommen.“
„Bis vor 5 Jahren sei das Verhältnis zwischen Deutschland und Griechenland in Ordnung gewesen.“ sagte Aris Radiopolis und schien vor einem Rätsel zu stehen. Die Übergabe einer CD mit mehr als 10.000 Datensätzen potentieller griechischen Steuersündern, durch das nord-rheinwestfälischen Finanzministerium im November dieses Jahres, an Athen sah er als ein positives Signal an.
Das inzwischen schon fast überstrapazierte immer noch in der Gründungsphase steckende Deutsch-Griechische Jugendwerk, die Verhandlungen darüber treten auf der Stelle, kamen ebenso zur Sprache wie die „Reparationsforderungen“ Griechenlands an Deutschland.
Wenn man bedenkt, dass diese Tagung von engagierten Mitarbeitern der beteiligten Institutionen in Deutschland und Griechenland organisiert worden ist und vor einem ebensolchen, oft ehrenamtlich tätigen Publikum, stattfand, wird die ganze Hilflosigkeit einer in die Jahre gekommenen offiziellen Beziehung zwischen sich anschweigenden Ehepartnern deutlich, wo jeder darauf wartet, dass der Andere das erlösende Wort für bessere Beziehungen spricht und dies auch umsetzt, denn trennen will man sich nicht wirklich. Schon gar nicht, wenn die strategische Lage Griechenlands im östlichen Mittelmeer und auf dem Balkan wieder deutlicher wird.
Dieses Wort kann aber nur von den in der Verantwortung stehenden Politikern Deutschlands und Griechenlands kommen. Es werden viele große und kleine Schritte und Programme nötig sein, um das verloren gegangene Vertrauen und den Willen zu einem gemeinsamen Miteinander wiederherzustellen. Dabei aber muss auch das „Soziale mitgedacht“ werden, „sonst verlieren wir die Menschen auf dem Weg dorthin.“ Begriffe wie eine „gemeinsame europäische Sozialversicherung“, muten beim derzeitigen Zustand des deutsch-griechischen Verhältnisses und in Europa wie eine Utopie an. Einem Europa, das seine Zerbrechlichkeit in der Flüchtlingsfrage, den bedrohlich stärker werdenden Nationalismen und Rechtsradikalismus bis hin zu faschistischen Bewegungen sowie der Bedrohung durch den Terrorismus offenbart. Und doch wird uns neben dem alltäglichen gesellschaftlichen Engagement nichts Anderes übrigbleiben -.als an dieser Hoffnung festzuhalten und für sie zu arbeiten: für Sicherheit nach bei der Arbeit und im täglichen Leben und nach außen – für alle Menschen in Deutschland und Europa.
Jürgen Rompf
Links und Materialien:
zum download als PDF: Broschüre des DGB „Wissen ist Schutz!“ (griechische Fassung)
zum download als PDF: Broschüre des DGB „Wissen ist Schutz!“ (deutsche Fassung)
zum download als PDF: Annelie Buntenbach, „Gute Arbeit durchsetzen…“
zum download als PDF: Sigrid Skarpelis-Sperk „Die neue griechische Arbeitsmigration“
zum download als PDF: Sigrid Skarpelis-Sperk, „Η νέα ελληνική εργατική μετανάστευση“
zum download als PDF: Bericht und Kommentar über die Tagung
zum download als PDF: Einladung und Programm zur Tagung
Website DGB-Projekt „Faire Mobilität“: www.faire-mobilitaet.de/
Website: Friedrich-Ebert-Stiftung, Athen: www.fes-athens.org
Bericht von Maria Rigoutsou, Deutsche Welle (gr): www.dw.com/el/